Deutsche Regelwut im Baurecht

Eigentlich sollte die öffentliche Hand dafür sorgen, dass mehr Wohnungen gebaut werden. Stattdessen lässt sie Wohnraum immer teurer werden. 

100.000 Wohnungen fehlen in Berlin und dagegen hilft bauen. Auf Berlins Dächern gibt es nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein Potenzial von rund 50.000 Wohnungen. Kaum gesagt, behindert sich diese Senatsverwaltung auch schon selbst mit einer umstrittenen Anweisung. Denn mit dem Rundschreiben II E Nr. 50/2017 werden die Straßenbäume geschützt: „Es erfolgt grundsätzlich kein Rückschnitt von Straßenbäumen oder deren Fällung, um den 2. Rettungsweg für den Neubau (Dachgeschossausbau und Lückenschließung) planmäßig zu ermöglichen“. Mit dieser Bestimmung verschärft die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Bestimmung für den Bau höherer Häuser und somit mehr Wohnungen. 

Wer als Bauherr daraufhin einen neuen Fluchtweg festlegt, z.B. über einen Außengang am Dach entlang in ein anderes Treppenhaus, hat mit höheren Baukosten zu rechnen.

Komplizierte Vorschriften, langwierige Verfahren und überforderte Bauämter lassen Wohnungen immer teurer werden. Wie groß das Problem ist, zeigt eine Umfrage, die der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen im Herbst 2018 unter seinen Mitgliedern – städtischen Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und privaten Wohnungsunternehmen – durchgeführt hat. 76 Prozent der Befragten gaben an, dass die administrativen Anforderungen und behördlichen Auflagen großen Einfluss auf ihre Neubauvorhaben hätten. 

Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln müssen etwa 3.300 bundesweit geltende Normen beachtet werden. Hinzu kommen Auflagen der Länder und Kommunen. Der Zentrale Immobilienausschuss, der die Interessen großer Immobilienunternehmen und -verbände vertritt, kommt so auf eine Zahl von insgesamt knapp 20.000 Bauvorschriften, viermal so viel wie 1990.

Dieser Anstieg zeigt auch, dass viele neue Vorschriften nicht in die bestehenden sinnvoll integriert wurden und dadurch auch widersprüchlich werden. So gelten z.B. für Verkehrs-, Gewerbe- und Sportlärm jeweils unterschiedliche Vorgaben. Der Verkehrslärm eines Lasters mit Gemüse aus Holland, der auf den Großmarkt fährt, wandelt sich so zum Gewerbelärm, für den andere Regeln gelten. Ein Bauträger in Dortmund musste aufgrund dessen eine Lärmschutzwand für sechs Mio. Euro hochziehen, die umgelegt auf die Wohnfläche 0,44 Euro/qm zusätzliche Mietbelastung bedeutet. 

Die Kosten treibt die öffentliche Hand noch mit anderen Maßnahmen in die Höhe: z.B. indem sie kommunale Grundstücke häufig zum Höchstpreisgebot abgibt anstatt einen Festpreis zu nennen und dem Bauherrn den Zuschlag zu geben, der dauerhaft günstigen Wohnraum schafft.

An der Preisspirale drehen auch die Bundesländer. Sie legen die Höhe der Grunderwerbsteuer fest – und die ist in den vergangenen Jahren in 14 der 16 Länder angehoben worden. In der Spitze beträgt sie jetzt 6,5 Prozent. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich im oberen Bereich. In Österreich müssen Käufer nicht mehr als 3,5 Prozent der Kaufsumme bezahlen, in Italien in vielen Fällen unter 5 Prozent. 

Auch das Deutsche Institut für Normung (DIN), eine private Institution, übt großen Einfluss auf staatliche Regeln aus. Anspruchsvoller sind die Vorgaben aber auch deshalb geworden, weil sich die Technik immer weiter entwickelt hat. Reichte früher ein Maurermeister, um ein Haus zu bauen, muss man heute für Brandschutz, Schallschutz und Energiestandard Sachverständige beauftragen, um zu bestätigen, dass die Regeln eingehalten werden.

Der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Baupreisindex stieg zwischen 2000 und Mitte 2018 um 41 Prozent. 

Die Politik hat inzwischen verstanden, dass sich etwas ändern muss – zumindest in der Theorie. In der vergangenen Wahlperiode berief Bundesbauministerin Barbara Hendricks eine Baukostensenkungskommission ein, die im November 2015 einen 181 Seiten dicken Endbericht vorlegte, wie sich das Bauen wieder einfacher, schneller und günstiger machen lässt. Auf die Umsetzung warten wir noch heute. 

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